
Meldungen
Mad Dream - oder: Die Zeitenwende vom 20. März 2003
20th Anniversary: The US War of Aggression against Iraq
Aufgrund limitierter finanzieller Mittel stehen manche Videos ggf. derzeit nur auf Englisch zur Verfügung. Spenden Sie auf unser Crowdfunding-Projekt, um uns mit der Übersetzung zu unterstützen.
Der Beitrag 20th Anniversary: The US War of Aggression against Iraq erschien zuerst auf acTVism.
Ukrainekrieg und arabische Welt
Zielbilder für Großmachtkriege
Streit um die nördlichen Passagen
Wo ist eigentlich die „Combat Cloud“?
Die Jahrestage dreier Angriffskriege
In diesen Tagen jähren sich drei völkerrechtswidrige Überfälle westlicher Mächte auf fremde Staaten, die zahllose Opfer forderten – auch durch Kriegsverbrechen –, aber bis heute straflos bleiben.
Die ersten Bombardierungswellen dreier völkerrechtswidriger Angriffskriege, die für die Täter keinerlei Konsequenzen hatten, jähren sich in dieser Woche. Heute vor 20 Jahren starteten US-Truppen die Invasion in den Irak, an der sich britische, australische und polnische Einheiten beteiligten. Sie wurde mit offenen Lügen legitimiert und diente genauso machtstrategischen Zielen wie der Überfall auf Libyen, den französische Kampfjets gestern vor zwölf Jahren einleiteten – erst unter Berufung auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, die allerdings umgehend gebrochen und illegal zum Sturz der libyschen Regierung missbraucht wurde. Am Freitag vor 24 Jahren überfielen NATO-Truppen, darunter deutsche, ebenfalls völkerrechtswidrig Jugoslawien, um dessen südliche Provinz Kosovo abzuspalten. Außenministerin Annalena Baerbock fordert unter großem medialen Beifall, das Führen von Angriffskriegen dürfe nicht „straflos bleiben“, will dies freilich – ebenso wie die deutschen Leitmedien – nicht auf westliche Kriege bezogen wissen. Dasselbe gilt für schwerste Kriegsverbrechen, die westliche Soldaten begangen haben. Bestraft werden lediglich Whistleblower, die sie aufzudecken halfen.
Kriegsziel: Umsturz-DominoDer US-geführte Überfall auf den Irak begann vor genau 20 Jahren mit ersten Luftangriffen in der Nacht vom 19. auf den 20. März 2003 und mit der unmittelbar folgenden Invasion von Bodentruppen. Beteiligt waren neben den US-Streitkräften Einheiten aus Großbritannien, Australien und Polen. Der Überfall erfolgte ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates und damit unter Bruch des Völkerrechts. Die offiziell vorgebrachte Begründung, Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, war frei erfunden. In Wirklichkeit ging es darum, eine dem Westen missliebige Regierung durch eine prowestliche zu ersetzen. In der Regierung von Präsident George W. Bush war damals außerdem von einem „demokratischen Dominoeffekt“ die Rede, wonach auf einen Sturz der Regierung im Irak derjenige weiterer Regierungen im Nahen und Mittleren Osten folgen werde, insbesondere in Syrien und Iran. Eine „erste arabische Demokratie“ im Irak werde „einen sehr großen Schatten in der arabischen Welt werfen“, erklärte damals der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz.[1] Auch Rohstoffinteressen spielten eine zentrale Rolle. Der damalige polnische Außenminister Włodzimierz Cimoszewicz etwa bekräftigte Anfang Juli 2003, Warschau habe „nie unseren Wunsch“ nach „Zugang zu Rohstoffquellen für polnische Ölfirmen verborgen“; dieser sei „unser letztes Ziel“.[2]
Hunderttausende zivile TodesopferDie menschlichen Kosten des Irak-Kriegs haben mehrfach Wissenschaftler vom Costs of War Project des Watson Institute for International and Public Affairs an der Brown University in Providence (US-Bundesstaat Rhode Island) zu beziffern versucht; die Brown University zählt zu den acht berühmten Ivy League-Universitäten in den Vereinigten Staaten. Seine jüngste Untersuchung hat das Costs of War Project kurz vor dem heutigen Jahrestag der US-Invasion vorgelegt. Demnach sind allein während der ersten großen Angriffswelle vom 19. März bis zum 19. April 2003 nachweislich mindestens 7.043 Zivilisten zu Tode gekommen, ein Drittel von ihnen durch Luftangriffe der US-Kriegskoalition.[3] Die Kämpfe haben allerdings nie wirklich aufgehört und sind nicht zuletzt in den westlichen Krieg gegen den IS gemündet; die Terrormiliz entstand faktisch aus den zerfallenden sozialen Strukturen des kriegszerstörten Iraks. Insgesamt beziffert das Costs of War Project die Zahl der Todesopfer, die bis zum März 2023 im Irak und in den zeitweise IS-kontrollierten Gebieten Syriens zu verzeichnen waren, auf 549.587 bis 584.006, darunter bis zu 348.985 Zivilisten. Der Bericht weist darauf hin, dass es sich dabei nur um die nachgewiesenen unmittelbaren Todesopfer handelt. Die Anzahl der indirekten Todesopfer – durch Kriegsfolgen wie Krankheit, Unterernährung etc. – sei wohl drei- bis viermal so hoch.
Kriegsziel: Einfluss ausweitenGestern vor zwölf Jahren begann der Krieg des Westens gegen Libyen, der mit Angriffen der französischen Luftwaffe startete und schon bald zum NATO-Krieg ausgeweitet wurde. Zu der offiziellen Kriegsbegründung, man habe ein Massaker der libyschen Streitkräfte an Zivilisten verhindern wollen, erklärten renommierte Experten später vor einem britischen Parlamentsausschuss, ein solches Szenario sei überaus unwahrscheinlich gewesen. In der Tat bestätigten französische Geheimdienstoffiziere dem Ausschuss, die tatsächlichen Ziele der französischen Regierung seien gewesen, „Frankreichs Einfluss in Nordafrika zu vergrößern“, stärkeren Zugriff auf die libysche Erdölförderung zu bekommen sowie die Schlagkraft der französischen Streitkräfte zu demonstrieren (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Ein UN-Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung wurde zum Sturz der Regierung missbraucht, also gebrochen. Die Zahl der zivilen Todesopfer des Krieges allein im Jahr 2011 wurde von der britischen Organisation Airwars mit mindestens 1.142, womöglich sogar bis zu 3.400 angegeben.[5] Der Krieg hat Libyen nicht nur materiell, sondern auch gesellschaftlich weitestgehend zerstört; immer wieder sind Kämpfe zwischen unterschiedlichen Milizen zum Bürgerkrieg eskaliert. Zwölf Jahre nach dem NATO-Krieg liegt das Land immer noch am Boden.
„Pro-Kreml-Desinformationsnarrativ“Am kommenden Freitag vor 24 Jahren wiederum überfiel die NATO Jugoslawien – gleichfalls ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrats und damit unter Bruch des Völkerrechts. Begründet wurde der Angriffskrieg mit der Behauptung, im Kosovo drohe eine sogenannte ethnische Säuberung. Interne Berichte widerlegen dies; so hieß es etwa am 19. März 1999 in einem Dokument der OSZE, die Lage „über die ganze Region hinweg“ sei „angespannt, aber ruhig“, während Fachleute im Bonner Verteidigungsministerium noch am 22. März konstatierten, Tendenzen zu „ethnischen Säuberungen“ seien „weiterhin nicht erkennbar“.[6] Dem Überfall auf Jugoslawien kommt insofern besondere Bedeutung zu, als er der erste völkerrechtswidrige Angriffskrieg seit den Umbrüchen der Jahre von 1989 bis 1991 war und damit einen Präzedenzfall für spätere Angriffskriege wie diejenigen gegen den Irak oder gegen Libyen schuf. Die Zahl der zivilen Todesopfer wird etwa vom Wilson Center auf rund 2.000 geschätzt.[7] Dabei muss sich die renommierte Washingtoner Einrichtung heute von einer EU-Stelle („EuvsDisinfo“), die angebliche Propaganda widerlegen soll, vorwerfen lassen, dies sei ein „Pro-Kreml-Desinformationsnarrativ“.[8] Zu den Zielen, die die NATO damals bombardierte, gehörten unter anderem die Botschaft der Volksrepublik China in Jugoslawien sowie das Hauptgebäude des staatlichen Fernsehsenders RTS.
Wer Angriffskriege führen darfDie Staats- und Regierungschefs, die die völkerrechtswidrigen Angriffskriege befohlen haben, sind dafür nie zur Verantwortung gezogen worden. Das gilt für US-Präsident George W. Bush, den britischen Premierminister Tony Blair und den polnischen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski (Irak-Krieg 2003) genauso wie für den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy (Libyen-Krieg 2011) bzw. Kanzler Gerhard Schröder und Vizekanzler Joseph Fischer (Jugoslawien-Krieg 1999). „Niemand darf im 21. Jahrhundert einen Angriffskrieg führen und dabei straflos bleiben“, erklärte Mitte Januar Außenministerin Annalena Baerbock.[9] Baerbock bezog das allerdings nicht auf Kriegsverantwortliche aus den westlichen Staaten, sondern einzig und allein auf die Regierung Russlands, mit dem der Westen einen Machtkampf austrägt.
Wer bestraft wird und wer nichtAuch die Kriegsverbrechen, die die westlichen Militärs begangen haben – unter anderem auch im Afghanistan-Krieg –, sind so gut wie nie geahndet worden. Das gilt für ein Massaker an über 100 Zivilisten bei Kunduz, das von einem deutschen Offizier befohlen wurde [10], ebenso wie für einen Initiationsritus einer berüchtigten australischen Spezialeinheit, der darin bestand, mindestens einen afghanischen Zivilisten zu ermorden [11], sowie für Dutzende Morde britischer Militärs an wehrlosen Gefangenen am Hindukusch [12]. Verfolgt werden stattdessen Journalisten und Whistleblower, die die Kriegsverbrechen öffentlich machen. Das gilt etwa für den australischen Militäranwalt David McBride, der vor Gericht steht, weil er geholfen hat, australische Kriegsverbrechen öffentlich bekannt zu machen [13], sowie für den Journalisten, der im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh auf die Auslieferung in die USA wartet, da er US-Kriegsverbrechen im Irak dokumentierte: Julian Assange.
[1] Paul Reynolds: The ‘democratic domino‘ theory. news.bbc.co.uk 10.04.2003.
[2] Poland seeks Iraqi oil stake. news.bbc.co.uk 03.07.2003.
[3] Neta C. Crawford: Blood and Treasure: United States Budgetary Costs and Human Costs of 20 Years of War in Iraq and Syria, 2003-2023. Providence, 15 March 2023.
[4] House of Commons, Foreign Affairs Committee: Libya: Examination of intervention and collapse and the UK's future policy options. Third Report of Session 2016-17. London, September 2016.
[5] Oliver Imhof: Ten years after the Libyan revolution, victims wait for justice. airwars.org 18.03.2021.
[6] Zitiert nach: Heinz Loquai: Krieg - ein wahnsinniges Verbrechen. In: Forum FriedensEthik in der Evangelischen Landeskirche in Baden. Rundbrief 2/2010. April 2010. S. 4-11. S. dazu https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7895.
[7] Aleksa Djilas: Bombing to Bring Peace. wilsoncenter.org.
[8] Disinfo: About two thousand civilians were killed in NATO’s bombing of Yugoslavia. euvsdisinfo.eu.
[9] Hans Monath: „Niemand darf Krieg führen und straflos bleiben“. tagesspiegel.de 16.01.2023.
[10] S. dazu https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/4637
[11] S. dazu https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8687
[12] S. dazu https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8977
[13] Christopher Knaus: David McBride will face prosecution after blowing whistle on alleged war crimes in Afghanistan. theguardian.com 27.10.2022.
Der Vorfall zw. russischen Kampfjets & einer US-Drohne | Dimitri Lascaris
Der Vorfall zw. russischen Kampfjets & einer US-Drohne | Dimitri Lascaris.
Der Beitrag Der Vorfall zw. russischen Kampfjets & einer US-Drohne | Dimitri Lascaris erschien zuerst auf acTVism.
Ein Jahr Ukraine-, 20 Jahre Irakkrieg: Russlands Partner und die Verbrechen des Westens
Nicht schießen! Brief eines ukrainischen Kriegsdienstverweigerers aus Gewissensgründen
haaretz.com/israel-news ...
... wenn israelische Reservisten in Palästina plötzlich von "Kristallnacht" sprechen: (engl.)
https://www.haaretz.com/israel-news/2023-03-13/ty-article-magazine/.prem...
#Palaestina (danke, Peter)
Der Wehrmachtsoffizier, der seinem Land die Niederlage wünschte - Recherche der Kriegsroute meines Großvaters durch die Ukraine
The Incident btw. Russian Jets and a US Drone | Dimitri Lascaris
Aufgrund limitierter finanzieller Mittel stehen manche Videos ggf. derzeit nur auf Englisch zur Verfügung. Spenden Sie auf unser Crowdfunding-Projekt, um uns mit der Übersetzung zu unterstützen.
Der Beitrag The Incident btw. Russian Jets and a US Drone | Dimitri Lascaris erschien zuerst auf acTVism.
Armut – spielt sie in Bayern keine Rolle? (Teil 1)
Reicher Mann und armer Mann
standen da und sah’n sich an.
Und der Arme sagte bleich:
Wär’ ich nicht arm, wärst Du nicht reich.“
Bert Brecht, 1934
Armut, Armutsgefährdung
Armut begegnet man in allen Lebensaltern, von der Armut von Geburt an bis zur Armut beim Sterben – sind es bei der Geburt, die fehlenden Windeln zum Monatsende, ungesunde und damit krankmachende Wohnverhältnisse oder auch ungesunde Ernährung, so ist es am Ende des Lebens die Sorge der eigenen Bestattung mit oder ohne Würde.
Die Armutsgefährdungsquote gibt an, wie hoch der Anteil der armutsgefährdeten Personen an der Gesamtbevölkerung ist. Sie ist keine aus der Luft gegriffene Erfindung, sondern wurde vom Statistischen Bundesamt (Destatis) und den Statistischen Landesämtern als Maßstab zur Messung von materieller Armut entwickelt. Auf eine Darstellung der nach den EU-SILC- Richtlinien dargelegte Armutsdefinition wird hier verzichtet.
Die Armutsquote in Deutschland betrug bereits im Jahr 2021 nach neuen Berechnungen des Paritätischen 16,9% , will heißen : es gibt 14,1 Millionen arme Menschen in Deutschland.
Destatis hat in einer Pressemitteilung, Nr. 327 vom 4. August 2022 folgende Hauptbetroffenheit von Armut benannt:
- Frauen sind eher armutsgefährdet als Männer
- Mehr als ein Viertel der Alleinlebenden sowie der Personen aus Alleinerziehenden-Haushalten waren armutsgefährdet
- fast jede zweite arbeitslose Person war 2021 armutsgefährdet
- Differenziert nach dem überwiegenden Erwerbsstatus von Personen ab 18 Jahren war im Jahr 2021 in der Gruppe der Arbeitslosen mit 47,0 % fast jede zweite Person armutsgefährdet. Bei den überwiegend Erwerbstätigen betrug der Anteil 8,6 %.
Für Personen im Ruhestand lag die Armutsgefährdungsquote bei 19,3 %.
In einer mehrteiligen Reihe will das isw die Thematik Armut am Beispiel des Bundeslandes Bayern aufgreifen und die Ergebnisse diverser Recherchen darstellen. Dabei geht es neben Zahlen und ihren Veränderungen in Zeitvergleichen auch immer wieder – sozusagen als Weckrufe – um subjektive Eindrücke, was Armut mit Menschen macht. Bei den Diskussionen in diesem Bereich geht es immer um Menschen, ihre Lebensgefühle und Einstellungen und damit auch die Grundfragen des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft – um Gerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe.
In Bayern lag 2021 die Armutsgefährdungsschwelle bei 12,6%. das entspricht einem verfügbaren Einkommen eines Einpersonenhaushalts von 1236 €.
Eine Person gilt dann als armutsgefährdet, wenn ihr Äquivalenzeinkommen die Armutsgefährdungsschwelle unterschreitet.
In Bayern fand 2014 die letzte Armutskonferenz der Wohlfahrtsverbände statt, seitdem ist Sendepause – kein gutes Signal.
Im Nachbarland Österreich gibt es eine aktive Zusammenarbeit vieler NGO´s, die sich beiden Seiten, der Armut wie dem Reichtum widmen:
Reichtumskonferenz 2022: https://www.armutskonferenz.at/reichtumskonferenz-2022;
Armutskonferenz 2022: https://www.armutskonferenz.at/es-brennt
In 2022 veröffentlichte die Bayerische Staatsregierung ihren vorerst letzten Sozialbericht. Regionale oder kommunale Berichte zum Thema Armut sind rar.
Soziale Fragen kommen auf kommunaler Ebene nur am Rande zur Sprache, in den Bügerversammlungen geht es meist um Baumaßnahmen aller Art, was die/den BürgerIn beschäftigt.
Wenn es um die Platzierung von Bauten z.B. für eine Flüchtlings- oder auch Obdachlosenunterkunft geht, auch dann wird’s hellhörig, laut, schrill und schnell grundsätzlich, Ängste und Vorurteile kommen hoch, werden vervielfacht: Das kann auch schon geschehen, wenn es um den Bau einer neuen Fußgängerbrücke über einen Bach geht – es könnte ja im Dunkeln dunkle Gestalten anziehen und man fühlt sich nicht mehr sicher im Viertel. Wenn dann daraus Überzeugungen werden, ist mit rationalen Argumenten oft nicht mehr dagegen anzukommen, daraus ziehen politisch Rechte, Nazis und AFD ihren Nutzen.
Der Freistaat Bayern hat eine Verfassung, die hohe Ziele auch bezüglich der Bereiche der Lebenssicherung beinhaltet: Art. 3
(1) Bayern ist ein Rechts-, Kultur- und Sozialstaat. Er dient dem Gemeinwohl.
(2) Der Staat schützt die natürlichen Lebensgrundlagen und die kulturelle Überlieferung. Er fördert und sichert gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern, in Stadt und Land.
Detaillierter wird in den Artikel 166 ff darauf eingegangen; es fallen dort Begriffe wie „-Die menschliche Arbeitskraft ist als wertvollstes wirtschaftliches Gut eines Volkes, -gegen Ausbeutung, Betriebsgefahren und sonstige gesundheitliche Schädigungen geschützt; - Jede ehrliche Arbeit hat den gleichen sittlichen Wert und Anspruch auf angemessenes Entgelt oder auch - Arbeitsloses Einkommen arbeitsfähiger Personen wird nach Maßgabe der Gesetze mit Sondersteuern belegt.
Auch wenn daraus keine unmittelbare Inanspruchnahme abgeleitet werden kann, so muss es dennoch Ziel jeglicher staatlicher Entscheidung und staatlichen Handelns sein und bleiben, diesem Idealzustand näherzukommen, oder wie Heribert Prantl in einem Beitrag am 2./3.12.2016 in der SZ, Seite 49 schrieb: „Die Bayerische Verfassung ist 70 Jahre alt. Sie liest sich so, als hätten Fidel Castro und Papst Franziskus daran mitgeschrieben.“
Es ist das Anliegen des Autors, Fakten zu benennen, die eine Erstellung eines amtlichen Armutsberichts auf kommunaler Ebene bzw. regionaler Ebene als sozialpolitische Aufgabe zur Bekämpfung von Armut nahelegen. Hierbei erfolgt der Versuch, auf Grundlage eigener Recherchen mit der Angabe von Fakten darauf hinzuweisen, dass es eine sozialpolitischen , verfassungsverbrieften Aufgabe entspräche, zur Bekämpfung von zunehmender Verarmung gerade in einem prosperierenden Bundesland der Bundesrepublik Deutschland eine systematische Armutsberichterstattung anzugehen. Viele Gründe sprechen dafür:
Erstens: Es gibt in Bayern keinen Armutsbericht, es gibt einen Sozialbericht. Warum das so ist? Nach Auffassung der derzeit regierenden Parteien CSU und FW sind die bestehenden Gesetze bereits die bekämpfte Armut und damit verbiete sich der Begriff Armutsbericht.
Das ist Augenwischerei, denn selbst in dem im letzten Jahr erschienenen umfangreichen Sozialbericht (752 Seiten) begegnet man bei genauerem Lesen laufend strukturellen Armutssituationen. Es ist also an der Zeit anzuerkennen, daß es auch in Bayern Armut gibt und diese dann auch so zu benennen, auch wenn mit bundesweiten Vergleichen versucht wird herauszustellen, wie gut die „soziale Lage“ in Bayern doch sei.
Auch Bayern hat ein Armutsproblem.
Zweitens: Während es auf Landesebene einen Sozialbericht gibt, sieht es auf Ebene der Bezirke und der 96 Stadt- und Landkreise noch viel düsterer aus. Von wenigen positiven Ausnahmen abgesehen, wie etwa dem Armutsbericht der Stadt München aus dem Jahr 2022, gibt es nur ganz wenige Aussagen zur Betroffenheit von Armut. Und wenn ja, sind die Datensätze meist veraltet. Aktuelle Forderungen, Armutsberichte zu erstellen, konnten nur in den Städten Augsburg, Bamberg und Fürth gefunden werden.
In den Regierungsbezirken Mittelfranken und Oberbayern gibt es aus den Jahren 2022 bzw. 2020 zumindest Datenreports.
Drittens: Um dieses weitgehende „Armutsschweigen“ aufzubrechen, wären die 96 Stadt- und Landkreise aufzufordern, jeweils für ihren eigenen Bereich alle z.B. drei Jahre eigene kommunale Armutsberichte zu erstellen und daraus folgend Ziele und Maßnahmen auf kommunaler Ebene zur Bekämpfung der Armut abzuleiten und zu beschließen.
In vielen Bereichen liegen für eine entsprechende Recherche- und Analysearbeit statistische Materialien vor, die belegbar genutzt werden könnten.
In den Städten und Landkreisen leben die Menschen, die von Armut bedroht und oder betroffen sind – in diesem Nahbereich spielt sich das Leben ab, egal ob im Altenheim, zuhause, der Jugendhilfeeinrichtung oder dem Frauenhaus – dort entscheiden sich Lebensschicksale.
Diese in der isw-Reihe verwendeten Angaben sind auszugsweise aus den verfügbaren amtlichen Daten entnommen, die als Anregung zu verstehen sind für weitergehende Analysen auf regionaler, bzw. kommunaler Ebene.
Der vorliegende auf eigenen Recherchen beruhende Bericht erhebt keinesfalls den Anspruch einer vollständigen Darstellung der Armut in Bayern. Schlaglichtartig kann nur auf elementare Erkenntnisse eingegangen werden.
Das Datengerüst für eine Armuts-Analyse vor Ort gehörten mindestens folgende Kerndaten:
Einwohner, Entwicklung, Zusammensetzung nach Geschlecht, Alter, Nationalität
Relative Bevölkerungsentwicklung seit 2012 in %
Anteil der Arbeitslosen an der Gesamtbevölkerung in %
Quoten und ihre Entwicklung gemäß der amtlichen Gesetzgebungstexte und Verordnungen:
Aus dem Bereich der Sozialgesetzgebung insbesondere Daten aus den Bereichen
SGB III (Arbeitsförderung; insbesondere Arbeitslosengeld I, Kurzarbeitergeld, andere Leistungen der Bundesagentur)
SGB II (seit 2023 Bürgergeld, vorher Grundsicherung für Arbeitssuchende, umgangssprachlich Hartz IV und folgende)
SGB VIII (Jugendhilfe)
SGB IX (Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen)
SGB XI (Soziale Pflegeversicherung)
SGB XII (Sozialhilfe)
Zusätzlich verwendbare Daten:
Aufstocker SGB II an allen ALGII Beziehenden in %
Kinderarmut in %
Altersarmut, Grusi in %
Kaufkraft in € pro Haushalt
Haushalte mit niedrigem Einkommen in %
Beschäftigungsquote in %
Unterbeschäftigungsquote
Arbeitsplatzentwicklung in den letzten 5 Jahren in %
WohngeldbezieherIn
Verbraucherinsolvenzen
ÖPNV-Mobilität für Menschen mit wenig Geld
Zudem könnten Kriterien wie etwa die Ausgaben-Entwicklungen als sinnvolle Ergänzung in einen Armutsbericht einfließen.
Der Freistaat Bayern hat die Möglichkeit, sofern es politisch gewollt wäre,, die Kommunen zu verpflichten, eine regelmäßige Armutsberichterstattung einzuführen. Alle Kommunen haben außerdem die Möglichkeit, vor Ort über die gesetzlich festgelegten Maßnahmen hinaus im Rahmen der freiwilligen Leistungen zusätzliche Angebote zu schaffen, die die Armut zumindest individuell etwas verringern können. Beispiele wie kostenfreie Eintritte in Bäder, Bibliotheken, kostenfreie oder reduzierte Teilnahmemöglichkeiten an Angeboten der Bildungsträger, Theater, ein kostenfreies ÖPNV Ticket und viele andere Ideen gibt es – sie sollten flächendeckend ohne bürokratische Antragsprüfungen eingeführt und umgesetzt werden.
Erschreckend ist immer wieder, wie Politik, egal auf welcher Ebene, abwartend auf Bedarfsäußerungen reagiert, das war so bei der Frage, ob die Zusammensetzung und Höhe der Regelleistungen überhaupt den Vorgaben des Grundgesetzes entsprechen – hier bedurfte es eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 09. Februar 2010; - 1 BvL 1/09 -, Rn. 1-220; http://www.bverfg.de/e/ls20100209_1bvl000109.html); das betraf die Frage nach Nachhilfe für Hartz IV schulpflichtige Kinder – es kam dann eine späte, zunächst sehr restriktive Regelung: man musste im Vorrücken stark gefährdet sein, um überhaupt Leistungen erhalten zu können, oder auch die Möglichkeit für Kinder, Mitglied in einem Turn- oder Sportverein sein zu können, die dafür notwendigen Sportbekleidung zu erhalten. Das jetzt sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket gibt es erst seit 2011 – Hartz IV trat am 1.1.2005 in Kraft. Auch die zähen Auseinandersetzungen zur Beschaffung von PCs – ein Trauerspiel, statt vorausschauender Sozialpolitik.
Zu den geschilderten Barrieren kommt hinzu, dass man es auf nationaler, Bundesländer-, Bezirks- und Kommunalebene mit einem großen sozialpolitischen Flickenteppich zu tun hat, der Armut keineswegs verhindert; im Gegenteil - er scheint diese sogar noch zu verstärken.
Selbst für in diesem Bereich beschäftigte Profis ist es nicht leicht, nur einigermaßen und aktuell den Überblick zu behalten. Immer wieder sind Zusammenhänge, Anspruchs-voraussetzungen, Bearbeitungsabläufe und -zuständigkeiten schwer nachzuvollziehen, daß viele Anspruchsberechtigte laut dem bestehenden System der sozialen Sicherung keinen Antrag auf Leistung stellen. Hinzu kommt das Narrativ „dem Staat nicht zur Last fallen“ zu wollen oder auch aus Gründen der eigenen Scham. Und zu guter Letzt kommt der in einzelnen Behörden immer noch herrschende Korpsgeist hinzu: „Du bist der Bittsteller – wir diejenigen die Leistungen gewähren oder versagen“.
Ein Zwischen-FazitEs gibt Armut in Bayern - in mehreren Teilbereichen nimmt sie zu und verfestigt sich.
Wie ist mit diesem sozialen Thema umzugehen, welche Konsequenzen sollten gezogen werden, welche Forderungen müssen auf den Tisch? Es stellt sich gesellschaftlich also die Frage, ob man das Auseinandertriften weiter stillschweigend wegdrückt, negiert oder ob es Initiativen gibt und braucht, die die Frage Armut und Reichtum – Verteilungsgerechtigkeit – auch in Bayern stellen.
Ein Ausblick
Im nachfolgenden Teil der isw-Reihe geht es um eine möglichst umfassenden Überblick zu den Themen Armut/ Armutsgefährdung in Deutschland und in Bayern, und eine vertiefende Darstellung der Entwicklungen von Altersarmut.
Im dritten Teil sind u. a. Ausführungen zu erkennbaren neueren Formen und Erscheinungen von Armut vorgesehen. Zudem sollen Antworten auf die Frage gegeben werden:
Was sagen denn andere Akteure aus dem soziapolitischen Bereich wie z.B. die Paritäter, Diakonie, Gewerkschaften, VdK, DKSB, zum Thema Armut in Bayern.
In einem abschließenden vierten Teil soll es um mögliche Schlussfolgerungen im Umgang mit der Frage von Armut/Armutsgefährdung. „Weiterführenden Hinweise auf nationaler wie bayernweiter Ebene“ sind in einem Anhang vorgesehen.
Angaben zum Autor
Helmut Türk-Berkhan, Sozialarbeiter, Beratung, Begleitung und Förderung von Menschen in materiellen Notlagen Selbsthilfegruppen Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe, Armut; Ämterlotsen, Rechtsambulanz, Dolmetschernetzwerk, Tafeln, Selbsthilfeleitfäden. Seit 1973 Gewerkschafter, nebenberuflich über 25 Jahre Dozent an der Kath. Hochschule München und versch. Bildungseinrichtungen in Oberbayern
Wir waren ihm egal
„Zeitenwende“ zur Kriegswirtschaft
"Der Dax wird militärischer“ titelte die SZ ihren Wirtschafts-Teil am 6. März, 2023. Anlaß war der Beschluss der Deutschen Börse, den Rüstungskonzern Rheinmetall am 20. März d. J. in die Premium-Liga Dax-40 aufzunehmen. Der Leitindex weist die 40 „wertvollsten“ börsennotierten Konzerne in Deutschland aus. Nach mehreren Anläufen ist dem Kanonen-, Panzer- und Munitionskonzern im ersten Ukrainekriegsjahr – der Aufstieg in den Elite-Klub gelungen. Weichen musste dafür der Medizinkonzern Frisenius Medical Care (FMC), Hersteller von Dialyse-Geräten.
Er rutscht in den M-Dax (Mid-Cap-Dax), der 50 „Nebenwerte“ ab. Waffen gegen Gesundheit!
Fotomontage Heartfield: „Wollt Ihr wieder fallen, damit die Aktiensteigen“?
Ausschlaggebend war der stark gestiegene Aktienkurs von Rheinmetall seit Beginn des Krieges in der Ukraine. Während die Aktie des Düsseldorfer Waffenkonzerns vor dem Krieg mit einem Kurs zwischen 70 und 90 dahindümpelte, schoss dieser mit den ersten Kanonensalven in die Höhe. Gemäß der alten Börsenweisheit: ´Kaufen, wenn die Kanonen donnern`. Am 8. März, 2023 lag der Kurs mit 257 Zählern um 180 Prozent höher als zu Kriegsbeginn. Der größte deutsche Rüstungskonzern hatte binnen eines Jahres seinen Börsenwert von gut drei Milliarden Euro auf 11 Milliarden Euro gesteigert – zur Freude seiner Großaktionäre, fast ausschließlich US-amerikanische Vermögens-Fonds (siehe https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5016-das-siebte-fette-jahr-der-welt-ruestungsindustrie). Reiche Rentner und Rentiers vorrangig in den USA profitieren also, wenn tief in der Ukraine die Menschen „aufeinander schlagen“. Und auch Konzernboß Papperger kassiert einen satten Zusatzverdienst: Mit seinen 157.000 Aktien, die er 2017 erworben hatte, machte er 2022 über 20 Millionen € Börsengewinn.
Die hohen Aktienkurse widerspiegeln die Gewinnerwartungen der Aktionäre. Und sie werden nicht enttäuscht. Seit Kriegsbeginn befindet sich Rheinmetall Rüstung in einem wahren Höhenrausch von Waffen-Aufträgen, Umsatz und Gewinn. Vier Tage vor der Aufnahme in den Dax-40 verkündete Konzernchef Papperger auf der Bilanz-Pressekonferenz (16.3.) einen „Rekordgewinn“ und eine Mords-Rendite:
Rheinmetall-Rüstungs-Rekorde
Die von Konzern-Chef Armin Pappberger auf der Bilanz-Pressekonferenz erläuterten Rekordzahlen für das Geschäftsjahr 2022:.
- Umsatz: 6,4 Mrd. Euro: + 13%;
- EBIT (Operatives Ergebnis vor Zinsen und Steuern: 754 Mio. Euro: + 27%;
- Netto-Gewinn: 469 Mio. Euro: + 61%;
- Dividende: 4,30 Euro je Aktie: + 30%;
- Auftragsbestand: 26,6 Mrd. Euro; = vierfache Jahresproduktion;
Rheinmetall rechnet bis Ende 2023 mit einem Auftragsbestand von über 30 Milliarden Euro. Denn: „Rheinmetall übernimmt Verantwortung in einer sich verändernden Welt“ (Papperger).
Rheinmetall ist nicht der einzige Kriegsgewinnler, der an der deutschen Börse notiert ist. Auch der bisher im S-Dax (Small Caps = small capitals) rangierende Rüstungselektronik-Produzent Hensoldt rückt in eine höhere Liga auf - in den M-Dax (Mid-Cap-Dax). Auch bei Hensoldt war der Aktienkurs explodiert und hatte sich binnen eines Kriegsjahres verdreifacht. Größte Anteilseigner sind hier der Bund (25,1%), der italienische Rüstungskonzern Leonardo mit ebenfalls 25,1 % (Platz 12 in der Weltrangliste der Waffenschmieden; hierbei ist der italienische Staat Großaktionär mit 30,2% Anteil). Weitere knapp 20 Prozent sind in der Hand von Finanzinvestoren. Auch dieser Wechsel entbehrt nicht einer gewissen Symbolik: Für die Aufwertung von Hensoldt musste der Bio-kraftstoff-Hersteller Verbio Platz machen und in den S-Dax absteigen.
Rüstungsmanager und Regierung: „Kapazitäten hochfahren“!„Handschlagqualitäten“ verspricht sich Rheinmetall-Chef Armin Papperger vom neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius. Bei der Waffenbeschaffung für die Bundeswehr soll es also künftig zugehen wie am Viehmarkt: Rasche Auswahl, „schnelle Beschaffungswege“ und „schnelle Genehmigungsverfahren“ - Einigung per Handschlag! Der neue Kriegsminister signalisierte gleich bei Amtsantritt, er habe „keine Berührungsängste“ mit den Rüstungsindustriellen, es müsse alles nur schnell gehen: Munition und neue Panzer. Schnell die „Kapazitäten hochfahren“ ist seitdem der Schlüsselbegriff von Rüstungsmanagern und Regierung. Von einem Spitzengespräch mit dem Kanzler nimmt Hensoldt-Boss Thomas Müller den Auftrag mit: „Wir sollen die Kapazitäten hochfahren und so schnell wie möglich liefern“.
Bei Rheinmetall werden die Rüstungsgeschäfte mordsmäßig aufgestockt. Der Umsatz soll sich bis 2025 auf 12 Milliarden € verdoppeln. Der Schwerpunkt liegt auf Panzer aller Raubkatzen-Arten (Leopard, Marder, Puma, Lynx, Panther) und Munition. Der Konzern lässt es krachen: Er hat jetzt für 1,2 Mrd. Euro den spanischen Munitionsproduzenten Expal übernommen, in Ungarn wird ein neues Munitionswerk gebaut, ein weiteres in Sachsen, und die Pulverfabriken in Unterlüß werden kapazitätserweitert. Bestärkt wurde der Konzern in seinen Vorhaben durch den „Munitionsgipfel“ im November im Kanzleramt. Wenn es noch einer Illustration des Militär-Industrie-Komplexes bedurfte, dann dieser: Die Spitzen von Politik, Militär und Rüstungsindustrie treffen sich im exklusivsten politischen Amtsgebäude, um zu beraten, wie man mehr Pulver, Patronen und Granaten beschaffen könne. Geht´s eigentlich noch!? Einkauf von Mords-Krachern als Top-Regierungsakt! Mit jeder abgeschossenen Artilleriegranate fliegen drei Kindergartenplätze durch die Luft. Mit jedem Schuss eines Pumas explodieren zwei Bürgergeld-Regelsätze. Für 20 Milliarden Euro will die Bundesregierung schnellstens Munition beschaffen, kaum weniger als im Bundesetat 2023 für das Ressort Bildung und Forschung vorgesehen sind (20,5 Milliarden Euro).
Auch im Panzergeschäft will die Düsseldorfer Rheinmetall nicht nur ihre „Kapazitäten hochfahren“ - z.B. durch 3-Schicht-Betrieb – sondern zusätzliche Produktionsmöglichkeiten schaffen. Denn nach Ansicht von Rüstungsboß Papperger „liegen vor uns Jahre des starken Wachstums“. Er gehe davon aus, dass der Krieg in der Ukraine „wahrscheinlich noch Jahre“ dauern werde. Im Einklang mit der Düsseldorfer Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Strack-Zimmermann komme es seiner Ansicht nach auf Angriffswaffen, wie Kampfpanzer an, wenn die Ukraine ihr Territorium zurückerobern wolle. 600 - 800 Panzer pro Jahr müssten es für den Endsieg schon sein. Papperger preist dafür die neueste Tötungsmaschine seines Hauses an: die Eigen-Entwicklung „Panther“ - angeblich die modernste Panzer-Wunderwaffe der Welt. Mit der 130-Millimeter-Kanone (Leopard-2: 120mm) weist sie in der Tat das größte Zerstörungspotenzial auf. Papperger will einen Teil der Super-Panzer unmittelbar dort produzieren lassen, wo sie gleich in die Schlacht geschickt werden, in der Ukraine. Auch spätere Exporte ließen sich von dort mit weniger restriktiven Ausfuhrbestimmungen bewerkstelligen. Für 200 Millionen € will Papperger in der Ukraine ein Werk mit einer Kapazität von 400 Panther-Panzern pro Jahr hochziehen. Sie könnten somit gewissermaßen gleich vom Werk nach der Endabnahme über die Straße ins Schlachtfeld rollen. „Marktnahe Produktion“ nennen Manager das.
Auch in die Luftrüstung steigt Rheinmetall ein. Der weltgrößte Rüstungskonzern Lockheed Martin will Rheinmetall an der Produktion der F-35-Tarnkappen-Atombomber, die Deutschland zur Fortführung der atomaren Teilhabe bestellte, beteiligen. Für alle F-35, die außerhalb der USA bestellt werden, soll Rheinmetall das Rumpf-Mittelteil produzieren. Auch dafür wird in Deutschland ein neues Rheinmetall-Werk hochgezogen. Armin Papperger: „Die langjährige Partnerschaft zwischen Lockheed Martin und Rheinmetall sowie die seit Jahrzehnten bestehenden sehr engen Verbindungen zwischen der Bundeswehr und unserem Unternehmen führen zu einem echten Know-how-Transfer an den Standort Deutschlands“. Der deutsche MIK internationalisiert sich.
Kein Zweifel, es entstehen in nächster Zeit Rüstungskapazitäten in neuen Dimensionen. Rheinmetall sei hier nur als Beispiel angeführt. Und in Verbindung damit kommt es zu einer neuen Konzentrationswelle im Rüstungsgeschäft. Sie wird von den Rüstungsmanagern von der Politik offen eingefordert. Hensoldt-Boss Thomas Müller im SZ-Interview (28.2.23): „Wir haben viel zu viele Rüstungsunternehmen, auch viele kleine. Wir brauchen mehr Fusionen in Europa!“. Ein Hebel dazu wird die staatliche Auftragsvergabe sein; auch die EU-Kommission müsse strukturbereinigend und rüstungs-koordinierend auf europäischer Ebene tätig sein, so Müller. Er fordert dafür ein eigenes EU-Verteidigungsbudget in der Größenordnung von etwa „500 Milliarden Euro für die nächsten drei bis fünf Jahre“.
Es dürften sich dadurch in absehbarer Zeit auch auf EU-Ebene Rüstungs-Großkonzerne herausbilden, die im globalen Ranking der Waffenschmieden unter den Top-20 landen.
Mit deutscher Beteiligung ist unter den Top 20 bislang nur die transeuropäische Airbus Defence & Space vertreten (Platz 15; die britische BAE- Systems ist auf Platz 6. Der größte deutsche Rüstungskonzern, Rheinmetall mit 30.000 Beschäftigten., rangiert auf Platz 31 der globalen Top 100 Rüstungskonzerne:Thyssen-Krupp (Platz 55), Hensoldt (69) und Diehl 99. Transeuropäische Gemeinschaftsunternehmen mit deutscher Beteiligung sind neben Airbus (deutscher und französischer Staat je 10,9%, spanischer Staat 4,1%, 11% US-Fonds/Vermögensverwalter) der Lenkwaffenkonzern MBDA (Platz 27), Airbus, BAE-Systems, Leonardo, KNDS (Krauss-Maffei-Wegmann und Nexter (Fr). Ansonsten ist die deutsche Rüstungsindustrie mittelständisch und in Familienbetrieben organisiert, enthält also großes Fusions- und Übernahmepotenzial.
„Zeitenwende in den Köpfen“
Mit den hochfahrenden Kapazitäten und den zu erwartenden Konzentrationsprozessen wird in der EU und respektive in Deutschland die Rüstungsindustrie als materielle Basis des Militär-Industrie-Komplexes (MIK) enorm ausgeweitet und gestärkt. Der Einfluss des MIK auf Politik und Gesellschaft, die Militarisierung aller Bereiche nimmt dadurch neue Dimensionen an.
Alle Fabrikanten des Todes und auch der Kriegsminister sind sich einig; Die 100 Milliarden „Sondervermögen“ für die Bundeswehr „reichen nicht“, auch der 2%-Anteil der Rüstungsausgaben am BIP nicht. Sie sind gerade mal der Einstieg in eine neue Rüstungsära. „Wir brauchen Aufträge und die notwendigen Mittel“, meint Hensoldt-Boss Müller. „Und das sind mittelfristig gesehen eher 300 als 100 Milliarden Euro“.
Aber nicht nur die neuen Dimensionen der Waffengeschäfte und die platzenden Rüstungsetats markieren den „Einstieg in die Kriegswirtschaft“. Auch die restliche Zivilwirtschaft kann unter die Dominanz und das Diktat der „Rüstungsindustrie“ geraten, weil diese bei Zulieferern, Lieferketten, wichtigen Komponenten (z.B. High-End-Chips) und strategischen Rohstoffen Vorrang hat; und auch Vorfahrt bei Fachkräften erwirkt. „Strategische Priorisierung“ nennt das der High-Tech-Waffenkonzern Hensoldt, wenn z.B. bestimmte Teile durch die Regierung als sicherheitsrelevant eingestuft werden. Nach Thomas Müller bedeutet dies, „dass die Rüstungsindustrie bei bestimmten Teilen priorisiert, also vor den anderen beliefert wird – und dass durch Anzahlungen die Lieferkette abgesichert wird. Die Überlegungen dazu sind recht weit fortgeschritten“.
Politiker wie der EU-Binnenmarktkommissar Breton sprechen sich offen für die ökonomische Mobilmachung aus: Es gehe darum „eine Kriegswirtschaft aufzubauen“ (HB, 9.3.23). Der CSU-Vize und Chef der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europa-Parlament, Manfred Weber, fordert „eine Art Kriegswirtschaft, um Stabilität und Sicherheit gewährleisten zu können (SZ, 25.2.23). Ex-Siko-Chef Wolfgang Ischinger sagte schon im November 2022, dass Deutschland eine Kriegswirtschaft brauche. Man dürfe „nicht kleckern, sondern klotzen, was das Hochfahren von Munitionsherstellung und Rüstungsproduktion betrifft. Es ist Krieg in Europa, und die Zeitenwende hat erst gerade begonnen“ (zit. nach HB,9.3.23).
Diese Priorisierung und Bevorzugung des Militärischen in Wirtschaft und Gesellschaft, wird ohne Gehirnwäsche der Bevölkerung, ohne politisches und mediales Trommelfeuer für Rüstungs- und Kriegsbereitschaft nicht zu erreichen sein. Ex-Bundeswehroffizier und jetziger Chef der Airbus-Rüstungssparte (Airbus-Defence and Space), Michael Schöllhorn, hat das klar erkannt: „Die eigentliche Zeitenwende ist die, die in den Köpfen der deutschen Bevölkerung stattfinden muss. Und ich hoffe, dass das passiert“, so der Rüstungsindustrielle. Und: „Ich glaube, die Politik hat erkannt, dass wir hier nachhaltig umsteuern müssen. Ob ein verstärkter Fokus auf Verteidigung von der Bevölkerung getragen wird und ob das ... auch dauerhaft so bleibt, müssen wir sehen“ (SZ, 18.2.23). Insgesamt bedürfe es eines „Kulturwandels in Industrie und Gesellschaft“.
Wie Geheimdienste und Medien in der Ukraine zusammenarbeiteten – REWIND
Wie Geheimdienste und Medien in der Ukraine zusammenarbeiteten - REWIND.
Der Beitrag Wie Geheimdienste und Medien in der Ukraine zusammenarbeiteten – REWIND erschien zuerst auf acTVism.
Drohnen als Massenware im Abnutzungskrieg
Krisenprofiteur wird Generalinspekteur
Ehem. US-Präsidentschaftskandidatin Jill Stein über den Krieg in der Ukraine
Ehem. US-Präsidentschaftskandidatin Jill Stein über den Krieg in der Ukraine.
Der Beitrag Ehem. US-Präsidentschaftskandidatin Jill Stein über den Krieg in der Ukraine erschien zuerst auf acTVism.
Seiten
- 1
- 2
- 3
- 4
- 5
- 6
- 7
- 8
- 9
- …
- nächste Seite ›
- letzte Seite »
